DHZ-Interview: Wenn die Knetmaschine beim Bäcker mitdenkt…
Kollege und DHZ-Chefredakteur Steffen Range stellte Olaf Deininger beim Interview für die Deutsche Handwerkszeitung anlässlich unseres Buch-Release einige sehr interessante Fragen. Im Kern: Die Auswirkungen digitaler Technologie auf kleine und mittelgroße Unternehmen.
"Die Knetmaschine
denkt jetzt mit"
Wirtschaftsjournalist Olaf Deininger ist überzeugt, dass digitale Technologien das Lebensmittelhandwerk und die Esskultur verändern. Das führt er gemeinsam mit Hendrik Haase in seinem neuen Buch "Food Code" aus.
Von Steffen Range
DHZ: In Ihrem Buch "Food Code" stellen Sie die These auf, dass neue digitale Technologien nicht nur unsere Lebensmittel, sondern auch unsere Esskultur verändern. Worauf muss sich das Lebensmittelhandwerk gefasst machen?
Olaf Deininger: Es ist weniger These als Tatsache: Wir haben weltweit an den Orten recherchiert, an denen diese neuen Technologien bereits eingesetzt oder gerade entwickelt werden. Wir haben mit Gründern, Entwicklern, Programmierern und Unternehmern gesprochen und immer wieder den Eindruck gewonnen, die technologische Zukunft ist bereits da, bereits real und produktiv – wenn auch vielfach "unter der Motorhaube". Wir befinden uns also mitten in der zweiten Digitalisierung. Das bedeutet: Digital gesteuerte und vernetzte Robotik, preiswert verfügbare vernetzte Sensorik, digital rückverfolgbare Produkte und Rohstoffe, digital gesteuerte, automatisierte Lieferketten, umfassende Vorhersage- und Prognosesysteme sind dabei, sich in allen Bereichen zu etablieren. Überall entstehen Daten, die permanent in Echtzeit verarbeitet werden. Was wir heute mit Künstlicher Intelligenz bezeichnen wird Basistechnologie. Damit entstehen ganz neue Möglichkeiten etwa in der Produktionsplanung, bei der Optimierung von Abläufen und Prozessen, in der Produktion selbst. Aber auch das Kundenverhalten verändert sich.
DHZ: Heißt das, Bäckereien müssen sich mit Robotern anfreunden?
Olaf Deininger: Unter anderem. Doch die Knetmaschine denkt jetzt mit. Und nicht nur das: Sie ist verbunden mit dem Warenwirtschaftssystem und beide wiederum mit der Kasse – und all diese Systeme im Betrieb sind verbunden mit den Systemen der Lieferanten. Um im Bild zu bleiben: Alle denken mit. Dabei werden nicht nur Daten ausgetauscht, sondern auch permanent im Hintergrund analysiert und verarbeitet, liefern Auslöser für weitere Prozesse und Funktionen. So entsteht eine vollständig digital integrierte Lieferkette, die etwa bei den Zutaten die Meldebestände im Lager selbstständig verwaltet und etwa autonom Mehl bestellt. Auch der Sack mit Mehl denkt jetzt über einen IoT-Chip mit und ist mit dem Gesamt-System verbunden.
DHZ: Bleiben wir beim Beispiel Bäckerei. Wie kann künstliche Intelligenz einem Betrieb künftig helfen?
Olaf Deininger: In vielerlei Hinsicht. Ein Beispiel: Mit Verkaufs- und Wetterdaten der Vergangenheit trainierte KI-Algorithmen machen auf Basis der heutigen Wettervorhersage sowie weiterer Daten sehr präzise Empfehlungen, ob ich heute mehr Brezel oder mehr Torte backen soll. KI sagt Kundenverhalten voraus, analysiert aber auch Prozesse und Abläufe. Für viele Menschen klingt Künstliche Intelligenz nach Science Fiction. Aber das ist eine typisch deutsche Debatte. Im Wahrheit ist KI ein technologisches Werkzeug, das hilft in großen Datenmengen Muster zu erkennen. Und zwar in Datenmengen, die so groß sind, dass sich kein Mensch mehr einen Überblick darüber verschaffen kann. Wie etwa die Verkaufsdaten einer Bäckerei der letzten fünf Jahre.
DHZ: Wie unterscheiden sich Industrie und ein handwerklicher Bäcker denn noch, wenn Algorithmen und Maschinen so stark mitmischen?
Olaf Deininger: Diesen Unterschied zu definieren, daran ist vor einigen Jahren bereits ein deutsches Gericht gescheitert. Es ging um den Streit um Backautomaten. Doch was damals übersehen wurde, ist folgender Aspekt: Bei der industriellen Fertigung wird das Produkt an die Maschine abgepasst. Beispiel: Bestimmte Schmiermittel sorgen im Teig dafür, dass er maschinengängiger wird. Das soll eine schnellere Produktion gewährleisten. Bei der handwerklichen Nutzung von Technologie ist es umgekehrt: Die Maschine wird dem Produkt oder dem Rohstoff angepasst. Nicht die Maschine steht im Mittelpunkt, sondern die Qualität des Produkts.
DHZ: Drohen durch die Technisierung der Betriebe nicht Arbeitsplatzverluste?
Olaf Deininger: Jede technologische Veränderung sorgt dafür, dass bestimmte Tätigkeiten im Erstellungsprozess an Bedeutung verlieren oder ganz verschwinden. Andere Tätigkeiten erfahren dagegen eine Aufwertung. Solche Entwicklungen sind aber nicht neu: Die Erfindung des Automobils hat die meisten Kutscher arbeitslos gemacht, die Erfindung des Kalenders die Seher und so weiter. Unsere Geschichte ist voll davon. Die Fähigkeit, diese neue digitalen Technologien bedienen, verwalten, entwicklen, managen zu können, wird in den nächsten Jahren aufgewertet. Die Berufsbilder im Lebensmittelhandwerk werden sich verändern und erweitern, weil die Fähigkeiten ergänzt werden müssen.
DHZ: Welche Auswirkung hat der digitale Wandel auf das Verhalten der Konsumenten?
Olaf Deininger: Nachhaltigkeit, Lieferanten- und Produktions-Transparenz, digitale Kundenservices und Kundenkommunikation, Daten- und Identitätsschutz, digitales Empfehlungsmanagement, Community-Gedanke gewinnen an Bedeutung. Wer künftig digital nicht darstellen kann, wo er was bezieht, wie er arbeitet und nach welchen Standards, wird es schwer haben. Das Smartphone ist zu einem mächtigen Instrument geworden, mit dem der Verbraucher jede Information sofort abrufen und vor allem nachprüfen kann. Und er wird eine Auskunft ohne digitalen Beweis künftig nicht mehr so einfach glauben.
DHZ: Wie sollten sich moderne Food-Handwerker positionieren, um vom digitalen Wandel zwischen Acker und Küche zu profitieren?
Olaf Deininger: Für die junge Generation der Digital Natives wird Nachhaltigkeit im Lebensmittelbereich zum Standard. Genauso wie mobile Kommunikation. Wer seine Kunden nicht über das Smartphone erreicht oder erreichen kann, wird es ebenfalls künftig schwer haben. Lieferantentransparenz ist heute schon ein wichtiger Faktor, der künftig auch digital dargestellt sein muss. Manche Firmen in der Lebensmittelindustrie bieten das bereits: Wer den Code auf der Banane scant, kann sehen wo und wie sie angebaut wurde. Grundsätzlich gesprochen: Daten werden künftig ein wichtiger Rohstoff werden und ihre Aktualität, ihre Verfügbarkeit und ihre Aufbereitung ein wichtiger Erfolgsfaktor für alle Unternehmer.
Mehr über den Wandel in der Lebensmittelproduktion
und im Lebensmittelhandwerk findet sich in FOOD CODE.